Klangverbesserung: Tonrite & Torrefizierung

Tonrite (8)

Mein erster Tonrite® war eine Experiment, ein Versuch, der zweite war Absicht. Profimusiker und Gitarrentechniker hatten sich überwiegend positiv geäußert und die Theorie dahinter war erstmal einleuchtend, aber erzählt wird ja ’ne Menge. Also hab‘ ich beschlossen, es zu riskieren und den ersten angeschafft. Was dann folgte, war die Versuchsreihe mit  wechselnden Gitarren über einen längeren Zeitraum. Das furiose Ergebnis der Testreihe: kommt immer d’rauf an!

Der genaue Effekt lässt sich nicht vorhersagen, das ist von Instrument zu Instrument verschieden. Manchmal entpuppt sich der Tonrite® als eine regelrechte Geheimwaffe, manchmal ist das Resultat hörbar, aber nicht überwältigend. Und da zeigt sich wieder einmal das Problem mit den hoffnungsfrohen Erwartungen potentieller Käufer an die Zauberkräfte eines neuen technischen Gerätes, wenn den Erwartungen keine sachlichen Überlegungen oder Kenntnisse zugrunde liegen. Wird die eigentliche Motivation von unspezifischen oder unrealistischen Wünschen befeuert, nämlich eine, sagen wir mal, 500 € teure Gitarre in eine Super-Premium-Spitzengitarre zu verwandeln, löst sich der erhoffte Zauber dummerweise wie das Rumpelstilzchen in Rauch auf, und das Gerät wird zutiefst enttäuscht wieder verkauft und als untauglich beschimpft. Nur – dafür kann der Tonrite® nix!

Eines vorneweg! Das Hauptproblem scheint mir die dauerhafte Unzufriedenheit mancher Zeitgenossen zu sein, wenn es um die klanglichen Fähigkeiten einer bzw. ihrer Gitarre geht.

Wenn meine finanziellen Mitteln begrenzt sind, reicht es eben nicht für eine 3000 € – Taylor, – Martin, – Gibson etc. Kaufe ich mir also das, was gerade noch möglich ist (während sich meine Sehnsucht aber von Beginn an insgeheim nach dem glückserfüllten Gitarrenhimmel sehnt), müssen andere Maßnahmen ergriffen werden. Nun folgt entweder das, was ich an vielen selbst-optimierten Gitarren wieder rückgängig mache, also die handwerkliche Seite – oder eine Wundermaschine wie der Tonrite®, wenn alles Andere nicht genug bewirkt hat.

Das ist so wie die Ehe oder Partnerschaft, die möglich war, in der sich aber die oder der Eine klammheimlich jemand ganz Anderen wünscht. Wenn Traumfrau oder Traummann nicht erreichbar sind, dann wenigstens die Schwester, die Freundin oder sein Kumpel, jemand, der ihm ähnlich sieht, hauptsache möglichst nahe dran. Zwar wurde eine Entscheidung getroffen, aber nach einer gewissen Zeit stellt sich heraus, dass die eigentlichen Bedürfnisse nicht ausreichend erfüllt werden. Wenn die Unzufriedenheit ein Teil des eigenen Systems ist, dann haben wir hier wohl einen Systemfehler

Wieder zurück auf dem Boden der Tatsachen kann ich sagen: der Tonrite® funktioniert im Rahmen seiner Möglichkeiten perfekt. Er beeinflusst die physikalischen Eigenschaften eines Naturmateriales, so wie dieses es zulässt. Dass sich eine Gitarre im Lauf der Zeit `einspielt´, ist ja nun kein Geheimnis. Wie weit das Einspielen klangtechnisch gesehen geht, hängt von der Konstruktion ab – und der Qualität der Hölzer. Für eine der schönen Legenden des modernen Gitarrenbaus war Bob Taylor (Taylor Guitars™) verantwortlich. Er hatte 1998 die Fachwelt mit einer ziemlich gut klingenden Gitarre verblüfft, die er aus Abfallholz, genauer dem Eichenholz einer Versandpalette (Boden & Zargen) und einem Kiefernvierkantholz (Decke) gebaut hatte, um zu zeigen, wie sehr es auf die Konstruktion und damit auf das Now-How des Gitarrenbauers ankommt. Das ist also die Konstruktion.

Alles Weitere liegt im Material und in seiner Qualität. Jeder Besitzer eines offenen Kamins muss sein geschlagenes Brennholz jahrelang hinterm Haus lagern, bis es trocken genug ist, um in (möglichst wenig) Rauch verwandelt zu werden. Gutes Holz für gute Gitarren ist entsprechend hochwertig & teuer, hat aber die Voraussetzungen, um guten Klang zu reproduzieren und sich zu entwickeln. Eine Gitarre, die nicht in die Hand genommen wird, kann sich nicht entwickeln. Es fehlen die Schwingungen, welche das Holz in Vibrationen versetzen und somit die Materialeigenschaften in gewissen Grenzen verändern. Dies gilt u. a. für die kristalline Struktur des Harzes, das in jedem Holz enthalten ist. Das ist im Grunde das gleiche Prinzip, wie das bei der Materialermüdung von alten Autos, Brücken oder manchen Haushaltsgeräten, die durch die dauerhafte, intensive Einwirkung von bestimmten Frequenzen strukturell geschädigt werden.

Glücklicherweise wirken sich die Schwingungen bei den allermeisten Gitarren weniger dramatisch aus, sondern verwandeln sich in Töne & Wohlklang.  Je mehr Schwingungen & Frequenzen mit unterschiedlicher Intensität langfristig auf das Holz einwirken, umso weniger innere Dämpfung (siehe Sustain & Ansprache) steht ihnen beim `Austritt´ im Weg. Das macht sich der Tonrite® zunutze. Gitarren, die selten oder nur in den ersten Lagen gespielt wurden, profitieren i. d. R. mehr davon, als diejenigen, die häufig und regelmäßig in Gebrauch waren. Die Wirkung ist, wie bereits erwähnt, nicht vorhersehbar. Der entstandene Effekt macht sich weniger mit einem Paukenschlag bemerkbar, sondern es stellen sich beim weiteren Spielen und Hinhören positive Veränderungen heraus, welche die Spielfreude allmählich erhöhen.

Ein weiterer Einsatz des Tonrite® findet in meinem Fall nach der Montage eines Bridgetruss‘ statt. Da dieser dazu dient, bestimmte Verwindungen in der Decke wieder zu begradigen, die durch den Saitenzug entstanden sind, erzeugt dies nach meinem Verständnis zwangsläufig neue Verspannungen (siehe 4. Sattel – Stegeinlage – Steg). Denen hoffe ich mit einer entsprechenden ‚Auflockerung‘ beizukommen. Am Ende wirken auch hier wieder mehrere Maßnahmen gemeinsam.

Manche Gitarrentechniker hängen den Tonrite® noch aus anderen Gründen regelmäßig an die Gitarren ihrer Musiker. Bei Auftritten und auf Tour machen Gitarristen gerne mal die Erfahrung, dass sich die Stimmung ihrer Werkzeuge gerade eben in der warmen und feuchten Luft in eben dieselbe aufgelöst hat. Vor allem akustische Gitarren unterliegen hier manchmal regelrecht brutalen Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen. In der kalten und trockenen Winterwitterung wird eine Gitarre im Koffer in die Wärme des Auftrittsortes gebracht und vor dem Gig gestimmt. Ein paar Minuten später auf der Bühne klingt das Teil von jetzt auf gleich völlig daneben.  Solche Schwankungen in der unterschiedlichsten Form und Weise haben natürlich dauerhaften Einfluss auf die Statik und die Kontruktion und damit auch auf den Klang. Mit Hilfe des Tonrite® lassen sich diese Auswirkungen anscheinend in einem gewissen Rahmen halten, soweit ich es den Erfahrungsberichten entnehmen konnte.

Und ich darf noch etwas anfügen – der Tonrite® ist kein ganz stummer Mitbewohner. Er macht seine Arbeit und die hört man logischerweise über die Gitarre, die gerade be-ritet wird, vor allem, wenn man die Intensität erhöht. Meistens platziere ich ihn über dem Schalloch, damit die Schwingungen auch über den Hals weitergegeben werden, und je nach Gitarrenkorpus rutscht er langsam in Richtung Steg. Bei einer Blueridge-OM ist er mir bei höherer Intenität auch zweimal herausgefallen. Auch das Kabel kann die Schwingungen recht gut hörbar machen, wenn es den Kontakt zur Decke findet. Der Tonrite® ist eben ein elektromechanisch arbeitendes Gerät. Beim ruhigen Fernsehabend kann das Brummen schonmal stören, und wenn’s in der Nacht so richtig still wird – er macht weiter. Also Tür zu …

Manche Profimusiker sind vom Tonrite™ schwer beeindruckt, die Vorbesitzer meiner waren’s offensichtlich nicht. Für den klassischen Hausgebrauch lohnt sich die Anschaffung des Tonrite m. M. n. auch weniger. Er macht aus einer 300 Euro-Gitarre auch keine 800 Euro-und-mehr-Konkurrenz. Für mich hat es sich gelohnt, zwei von den Teilen anzuschaffen, da ich regelmäßig etwas zu `beschwingen´ habe. Gitarristen, die erst nach Monaten und Jahren die Saiten wechseln, weil sie ja „…noch gut…“ sind, werden erst gar keinen Unterschied hören.

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Torrefizierung/ Torrefied/ Aged/ Age to Vintage/ Agewood – Bezeichnungen und Synonyme für ein und dasselbe … den Wunsch nach der perfekten Entwicklung von Klang in möglichst kurzer Zeit, wie bereits zum Tonrite™ beschrieben. Normalerweise wird dies durch ein jahrelanges Spielen einer Gitarre erreicht, und speist damit die alte Diskussion über den legendären Sound sog. Vintage- und Pre-War-Gitarren und den seinerzeit verwendeten Hölzern.

Eine relativ neue, aber eigentlich wiederentdeckte, Erfindung im Gitarrenbau ist das `Backen´ oder `Torrefizieren´ (lat: torrere = rösten, trocknen, dörren). Ursprünglich ist es ein Verfahren, um einer Biomasse (insbesonders Holz) die Feuchtigkeit zu entziehen und sie transportabel und besser handhabbar zu machen. Ein festgelegter & stabil bleibender Wassergehalt mit gleichzeitig reduzierter Masse und somit eine bessere oder dauerhafte Haltbarkeit sind das Ergebnis. Moderne Holzpellets sind typischerweise torrefiziert.

Bereits die alten Vikinger nutzten das Prinzip, um das Holz für ihre Langboote leichter und v. a. haltbarer für die dauerfeuchte Umgebung zu machen – vermutlich einer der Gründe, warum manche ihrer Schiffrümpfe 1000 Jahre später in schlammigen Hafenbecken gefunden werden konnten. Ebenso die Köhler, die in ihren Meilern bei der Umwandlung von Holz in Holzkohle den Energiewert des Ausgangsmaterials größtenteils erhalten konnten. Holzkohle war schon in der Bronze- und Eisenzeit enorm wichtig, weil sie bei der Verbrennung Temperaturen von bis zu 1.200 C° entwickelt und viele der Metalle wie Eisen, Kupfer oder Silber einen Schmelzpunkt oberhalb von 1.000 Grad haben.

Bei weicheren Biomassen wird z. B. eine Gärung verzögert bzw. verhindert. Ganz profan gesprochen handelt es sich bei der Torrefizierung um nichts Anderes als das Erwärmen bzw. Erhitzen eines Naturmaterials bei einer konstanten Temperatur über einen festgelegten Zeitraum, um Feuchtigkeit verdunsten zu lassen. In der Industrie werden thermo-chemische Umwandlungsprozesse (Pyrolyse) schon lange angewandt, in der Forschung v. a. als aussichtsreiche Technologie, um nachwachsende Rohstoffe auf Lignocellulose-Basis (also Holz) zu nutzen und fossile Energieträger auf lange Sicht zu ersetzen (siehe u. a.: Wikipedia)

Für die Herstellung von hochwertigen Gitarrendecken muss das Holz sehr lange bei Raumtemperatur gelagert werden, um zu altern bzw. zu `reifen´, was zwangsläufig hohe Kosten mit sich bringt. Für die massenhafte Produktion von `Billiggitarren´ werden dagegen kurz abgelagerte  und vergleichsweise feuchte Hölzer genommen, die erst im Verlauf der Zeit als fertige Konstruktion im Wohnzimmer ‚trocknen‘ und immer wieder für Verwunderung sorgen, weil sich Saitenlage, Halswinkel oder Deckenwölbung dramatisch verändern – eine Verwandlung der etwas anderen Art! Der natürliche Alterungsprozess sorgt also mit der Zeit für eine Ver- bzw. Umwandlung des Materials und seiner flüchtigen Komponenten (z. B. Lignin), bei der sich bestimmte physikalische Eigenschaften (z. B. die innere Schall-geschwindigkeit) verändern, und deren Folge wir als Klangverbesserung wahrnehmen.

Taylor™, Breedlove™, Martin™, Cort™, Yamaha™ und Andere nutzen die Torrefizierung seit einiger Zeit. „…Guitar manufacturers such as Rickenbacker have long been using heat-treated timber for this very reason – while making no claims of tonal superiority. In recent years, Gibson has utilised torrefied maple for some fingerboards as an alternative to rosewood…“ (http://www.guitar.com).

Gitarrenbauer Dana Bourgeois von Burgeois Guitars™ hat sich als einer der Ersten ausgiebig mit dem Thema befasst und seine Erkenntnisse in die Aged Tone™ – Baureihe einfließen lassen; Tim Teel, Director of Instrument Design bei C.F. Martin & Co™ äußerte sich ebenso positiv. Hier machte man u. a. die Erfahrung, dass die Deckenrisse einer misshandelten HD28 aufgrund der Torrefizierung weit geringer waren, als man im Normalfall hätte erwarten müssen (siehe Adam Perlmutter: Acoustic Guitar, September 2014; auch unter: https://bourgeoisguitars.net/our-news/dana-bourgeois-on-torrefaction-for-acoustic-guitar/).

Das Torrefizieren ist aufwendig. Die Deckenhölzer werden unter Ausschluss von Sauerstoff (der Katalysator für die Verbrennung) langsam auf ca. 250 – 300 C° erhitzt und für 20 Stunden bei konstanter Temperatur gehalten. Danach wird die Temperatur allmählich reduziert, bis der größte Teil der Feuchtigkeit entwichen ist. Im nächsten Schritt wird das Holz wieder erhitzt, diesmal an die 400 C° bei anschließender Reduzierung der Hitze und unter Zugabe von Wasserdampf, um dem Holz wieder eine gewisse Feuchtigkeit zu zugeben, damit es bearbeitet werden kann. Brüchig soll es ja nicht werden (siehe: Bourgeois Guitars).

Nach Dana Burgeois bewirkt die Torrefizierung eine „…waben-ähnliche, zellulare Struktur…“ vergleichbar mit jahrzehntelang abgelagertem Holz, was sich am Ende mit einer höheren, inneren Schallgeschwindigkeit und einem `trockenen´ & obertonreicheren Vintage-Sound bemerkbar macht: “If properly treated, its stiffness-to-weight ratio improves … This results in an enhanced velocity of sound—the quickness with which sound travels through wood—which pro¬duces the vintage tone that’s typically been all but elusive in a new instrument.” Ein anderer Nebeneffekt: bei der Oxidation verfärbt sich das Holz und wird dunkler, quasi eine optische Unterstützung der inneren Reifung & Verwandlung. Hier finden sich drei Aufnahmen einer durch Torrefizierung veränderten Holzstruktur: https://www.pre-warguitars.com/torrefied-wood

Eines wird aber auch an dieser Stelle wieder mehr als deutlich – die Qualität des Ausgangsmaterials ist von entscheidender Bedeutung! Je besser die Holzqualität ist, umso größer wird der Effekt, der sich durch das Torrefizieren erreichen lässt. Es ist offensichtlich kein Verfahren, dass sich für Gitarren der Consumer-Klasse eignet, es würde die Kosten deutlich erhöhen bei eher geringem, hörbarem Erfolg.

Andererseits gibt es da durchaus auch Gitarrenbauer, die konsequent auf torrefiziertes oder sonstig erhitzes Holz verzichten, da das Erhitzen nach ihrer Meinung die Feinstruktur des Tonholzes zerstört: „… Um einen vollen warmen Klang zu erreichen, verbaue ich nur ausgesuchte Hölzer, die ich selbst in meiner Werkstatt an freier Luft mehr als 15 Jahre sorgfälig gelagert habe…“ (Stefan Rössler, http://www.gitarre-roessler.de). Starkes Erhitzen führt laut Bob Taylor zu einem teilweise Aufbrechen und Umverteilen des Lignins. Bei manchen Fichtenarten bewirkt dies die gewünschte Alterung. Bei Holzarten mit einer starken Maserung und entsprechend lockerer Faser kann das Material geschwächt werden und zu einem anderen als dem gewünschten Effekt führen. Entsprechend werden bei Taylor Guitars® bestimmte Deckenhölzer torrefiziert, aber nicht die aus Koa. Am Ende verhält es sich ähnlich, wie beim Tonrite™, es kommt ganz darauf an …

Meine Erfahrung und mein Gefühl sagen mir allerdings, das wird das Next-Big-Thing mit einer ähnlichen Legendenbildung, wie die, die wir bereits zur Genüge kennen. Schon sind in den unteren Preisklassen immer mehr Gitarrenhersteller präsent, deren Decken auf die eine oder andere Weise torrefiziert oder aged to vintage-ed wurden und sie werden neben „Acoustic Resonance Enhancement“ noch andere Bezeichnungen finden, damit die eigenen Modelle einzigartig bleiben. Kunden ohne Hintergrundwissen werden nach ihnen Ausschau halten, weil sie diese geheimnisvollen Worte irgendwo gelesen haben und so Viele darüber reden. Verkäufer werden sie als  besser, klangvoller und autenthischer anpreisen und wer nach einiger Zeit genügend Ahnung hat, weiß wieder einmal Bescheid und dann … ist es die neue `Wahrheit´.

Stimmt so …