5. Wenn die Fassade Risse bekommt

Die durch die Seitenbetreiber erstellten Inhalte und Werke auf diesen Seiten unterliegen dem deutschen Urheberrecht! Durch Anklicken der Fotos erscheint die Galerieansicht, die sich durch einen weiteren Klick rechts unten in Originalgröße betrachten lässt.

Neligan Schaden

„Der Schaden ist rein optisch und hat keine Auswirkung auf den Klang…“ (Teil des Verkaufstextes – im Internet gefunden)

Wenn die Fassade Risse bekommt …

… ist da bereits etwas schiefgelaufen. Damit komme ich zunächst zu einer Sache, die gerne mal mit Worten umschrieben wird, wie „…hat aber keineswegs Einfluss auf die Spielbarkeit und den Klang…“  – nämlich Lack– und Holzrisse.

Wie schon an anderer Stelle beschrieben, nimmt das Holz der Gitarre Feuchtigkeit aus der Luft auf und gibt sie an diese auch wieder ab, je nachdem, wo die Feuchtigkeit gerade größer ist. Liegt eine Gitarre nun aber längere Zeit `auf dem Trocknen´, zieht sich die Holzstruktur unweigerlich zusammen. Sowohl im Lack als auch im Holz können Risse entstehen, sog. Trockenrisse. Risse im Lack sind nach einiger Zeit unansehnlich, aber zunächst kein Drama. Sie zeigen aber, dass Spannungen, entweder im Holz oder im Lack selbst, diesen auseinander reißen.

Dem lässt sich durchaus vorbeugen, z. B. mit einem Gitarrenbefeuchter (Humidifier). Dieser wird entweder auf das Schalloch gesetzt, in die Saiten gehängt oder mit in den Koffer gelegt und gibt nach und nach Feuchtigkeit ab, die vom Holz aufgenommen wird. Im Optimalfall soll das Holz einen Wert von 42-45% Feuchtigkeit enthalten. Es gibt verschiedene Varianten: Humidifier die das Schalloch abdecken und die Feuchtigkeit über einen Schlauch mit Schwamm abgeben; Befeuchter, die den Schwamm in der Abdeckung integriert haben und andere, die in die Saiten gehängt oder zur Gitarre in den Koffer gelegt werden. Wichtig in jedem Fall – das Wasser darf nicht in den Korpus `reintropfen!

Es gibt auch teurere und komfortablere Befeuchter. Sogenannte HumidiPacks regulieren die Feuchtigkeit über mehrere Monate, in dem sie je nach Bedarf  Feuchtigkeit aufnehmen oder abgeben und so den Wert konstant bei 42-45% halten. Digitale oder analoge `Uhren´ zeigen den Wert der Luftfeuchtigkeit in der Umgebung an und weisen den Besitzer darauf hin, ob bzw. wann der Humidifier wieder angesagt ist; manche Gitarrenkoffer haben einen Befeuchter direkt integriert.

Ein Lackriss lässt sich meistens daran erkennen, dass er nicht der Maserung folgt, sondern über sie hinweg geht. Oft sieht man eine ungerade, gezackte Linie. Ist ein Lackriss neu, lässt er sich wieder schließen und man sieht kaum etwas. Ist er älter, sammelt sich darin Schmutz und der Riss bleibt sichtbar. Um den Schmutz zu entfernen, müsste der Riss ausgeschliffen werden, was nicht unbedingt notwendig ist.

Der Aufwand ist mitunter erheblich, eventuell beschädigt man noch mehr Lack um den Riss herum und im Zweifelsfall ist der Schaden hinterher größer und auffälliger – allerdings noch immer nicht lebensbedrohlich. Das wird er aber möglicherweise, wenn dem Holz nicht wieder die notwendige Feuchtigkeit zugeführt wird, damit die Spannungen wieder nachlassen.

humidyclock-2.jpg

Wenn die Umgebungsluft längere Zeit deutlich zu trocken ist, wäre ein Schalloch-abdeckender Humidifier oder ein Koffer angebracht. Hat sich erst ein Riss im Holz gebildet, sollte er in jedem Fall repariert werden. Eine Gitarre mit so einem Schaden zu kaufen, ist nur etwas für Leute, die tatsächlich wissen, was zu tun ist! Mal eben ein bißchen Sekundenkleber d’rüberlaufen lassen, ist wie einen Riss im Unterboden des Autos mit einer Glasfasermatte zu überkleben, also `Rumprutschen´.

Auf den nachfolgenden Fotos sind gleich mehrere Varianten schön zu sehen: 2 kleine Holzrisse direkt am Steg und ein langer Lackriss, der beim Auseinandersägen des Korpus entstanden ist. Die kleine Schraube im Hintergrund ist der untrügliche Beweis dafür, das sich der Steg schon einmal gelöst haben muss und wieder befestigt wurde. Üblicherweise wird der Steg aber komplett abgelöst, die Flächen von Steg und Decke sorgfältig von Holz- und Kleberesten gesäubert und anschließend komplett neu verleimt. Schrauben sind dann im Normalfall unnötig (und irgendwie auch `ehrenrührig´)

Die ursprüngliche Reparatur war in diesem Fall etwas unorthodox. Um die Decke von oben möglichst unbeschadet zu lassen, und weil sich die Risse direkt am Steg gebildet und nicht verlängert hatten, wurden unterhalb der Stegplatte 3 Klötzchen eingeleimt und mit Spannern von innen dagegen gepresst, also nicht wie oben beschrieben, gegen die Decke gezogen. Das 2. Klötzchen war im Nachhinein unnötig. Der vermeintliche Riss konnte von innen nicht erfühlt werden und wurde auf Verdacht gesichert. Bei Nr. 3 lässt sich ganz gut der Unterschied zwischen dem anfänglichen Holz- und dem weiterlaufenden Lackriss sehen.

Wie sich dann ja am Ende herausstellte, wären die gesamten Reparaturen unnötig gewesen, aufgrund der irreparablen Halswelle.

Typischerweise bilden sich Trockenrisse entlang der Holzfasern/Maserung und meistens da, wo das Holz genügend `Freiraum´ hat, um sich zusammenzuziehen – unterhalb des Steges zur Zarge hin, links und rechts neben dem Schalloch, links und rechts neben der Leimfuge. Rundherum ist die Decke mit der Rahmenkonstruktion, also der Zarge, verleimt. Daher entstehen Trockenrisse am Rand viel seltener. Hier handelt es sich eher um Spannungsrisse, die durch zu starken Druck oder Zug entstehen, wie z.B. bei einer Stauchung durch Anschlagen, Herunterfallen oder Umkippen. Ist das Holz ausgedörrt, kommt das allerdings erschwerend hinzu.

Trockenrisse zwischen Griffbrett und Schalloch sind n. m. E. ebenfalls selten. Häufiger zieht es die Leimfuge zwischen den beiden Deckenhälften auseinander (selten die der Rückwand, wenn diese nicht aus einem Stück besteht). Sie muss dann erstmal an beiden Saumrändern von Leimresten(!) gesäubert werden. Der Einsatz eines Humidifiers lässt das Holz wieder Feuchtigkeit aufnehmen, und die Risse oder Fugen schließen sich allmählich wieder. Anschließend werden sie sorgfältig verleimt.

Trocken- bzw Holzrisse werden zusätzlich mit sog. Rissklötzchen gesichert, indem sie häufig mittels eines sehr dünnen Drahtes und mit ordentlich Zug von innen nach außen gegen den Riss gezogen und verleimt werden. Ist ein Riss recht lang, oder zieht sich gar über die gesamte Decke oder den Boden, müssen auch entsprechend viele Rissklötzchen her. Vorher aber muss sich der Riss soweit wie möglich geschlossen haben. Einfach Klebstoff hineinlaufen lassen, reicht nicht. Eventuell müssen auch die Risskanten gesäubert werden. Eine durchgerostete Stelle am Auto wird ja auch nicht mal eben nur mit Spachtel aufgefüllt (zumindest im Normalfall). Die oben abgebildeten Klötzchen sind für unterschiedliche Einsatzzwecke und aus stabilem, aber sehr leichtem Holz. Zusammen wiegen die 9 Klötzchen gerade mal 7 Gramm.

Mitunter entstehen Risse an ungewöhnlichen Stellen, z.B. direkt neben dem Hals bzw. Griffbrett. Das lässt auf Spannungen schließen, die beim Zusammenbau entstanden sind  – vor allem, wenn sie innerhalb von ein paar Tagen und/oder nach dem Einstellen des Halstabes auftreten, wie bei der unten abgebildeten Ortega 20 CE. Diese Marke genießt einen sehr guten Ruf. Trotzdem kann so ein Schaden im Rahmen der üblichen Massenfertigung für die Consumer-Klasse immer wieder mal vorkommen. Das liegt vielleicht daran, dass das Holz vor dem Zusammenbau nicht lange genug getrocknet und der Trocknungsprozess zu schnell forciert wurde (nicht zu verwechseln mit den sog. torrefizierten Decken!). Auch möglich, dass bei überwiegend maschineller Fertigung die Spannungen mit `eingebaut´ wurden.  Auch solche Risse sind dauerhaft reparabel.

Der Riss in der Decke offenbart bei der Gelegenheit noch ein kleines Fake. Der Schallochring ist nur ein billiges Folienimitat auf einer immerhin fast 600 Euro teuren Gitarre.

Die folgenden Bilder zeigen Holzrisse, die entstanden, weil der Versender keine Lust auf eine ordentliche Verpackung hatte. Die Gitarre wurde sozusagen zerdrückt.

Aufgebrochene Decken oder Rückseiten entstehen üblicherweise durch die Stauchung bei einem Aufprall oder einem heftigen Stoß. Dann ist die Struktur der gesamten Konstruktion beschädigt. Decke oder Rückseite lösen sich partiell von der Zarge, und manchmal bricht etwas heraus. Dazu kommen noch die unansehnlichen Lackschäden.

Den Schaden auf Foto Nr. 3 hatte ich im Internet gefunden. Er wird die Folge eines wirklich brachialen Aufpralls gewesen sein. Der Korpus wurde so heftig nach innen gedrückt, dass Decke und Zarge nicht nur auseinandergetrieben wurden, sondern das dabei `störende´ Deckenholz nur als breiter Span nach oben wegbrechen konnte (der Kommentar des Besitzers steht ganz oben).

Eines bleibt noch einmal anzumerken: die gebetsmühlenartig `runtergeleierten Behauptungen, ein Riss oder Bruch in Decke oder Korpus beeinträchtige nicht die Spielfähigkeit einer Gitarre oder habe keinerlei Auswirkungen auf die klanglichen Eigenschaften, zeigen die Unbedarftheit oder das fehlende Interesse des/der Anbieters/Anbieterin.

– Ein Riss im Holz ist in jedem Fall ein Schaden, der bestimmte Ursachen hat. Diese müssen beseitigt, der Riss geschlossen und verleimt werden!

– Aufgebrochene oder auseinander gesprengte Korpusteile sind ein struktureller Schaden. Die Teile müssen wieder zusammengefügt und die Konstruktion geschlossen werden!

Alles andere ist nur noch ein Fall für den Strand oder das Lagerfeuer oder stark erhöhte Alkoholpegel – oder beides.

Stimmt so …